Laudatio zur Ehrenpromotion an Herrn Prof. Dr. Rolf Rannacher
Laudatio zur Ehrenpromotion an Herrn Prof. Dr. Rolf Rannacher, Ruprecht-Karls-Universität, Heidelberg, am 06. November 2009 in der Aula im Hauptgebäude der Friedrich-Alexander-Universität
Magnifizenz,
Spectabilis,
lieber Herr Rannacher,
sehr geehrte Frau Rannacher,
sehr geehrte und liebe Kolleginnen und Kollegen,
verehrte Festversammlung
Bevor ich zu meiner eigentlichen Aufgabe komme, nämlich den Laureaten dieser Festveranstaltung in seinem wissenschaftlichen Werdegang und seiner wissenschaftlichen Leistung zu würdigen, möchte ich auf die Jubiläumsveranstaltung des Departments Mathematik zu sprechen kommen, in die diese Verleihung der Ehrendoktorwürde eingebettet ist und mit der sie in starkem Zusammenhang steht:
Während der Dekan die Gegenwart und Zukunft der Erlanger Mathematik beleuchtet hat, möchte ich also einen Blick in die Vergangenheit richten.
Zwei Jahre nach der Gründung der Technischen Fakultät wurde zu Beginn des Jahres 1968 an der Technischen Fakultät auf einen neu begründeten Lehrstuhl für Angewandte Mathematik der Approximationstheoretiker Prof. Dr. Günter Meinardus berufen. Insbesondere engagierte er sich und alle seine Mitarbeiter intensiv in dem Aufbau einer Mathematikgrundausbildung für die entstehende Technische Fakultät, eine stetig wachsende Aufgabe, in der dieser Lehrstuhl ab dem Jahre 1970 vom Lehrstuhl für Angewandte Mathematik II unterstützt wurde, auf den Prof. Dr. Bruno Dejon berufen wurde. Bruno Dejon kam aus einem zu dieser Zeit schon stark rechnergeprägten Umfeld, war er doch zuletzt Projektgruppenleiter am IBM-Forschungslabor in Rüschlikon (Schweiz) gewesen, und beschäftigte sich zu dieser Zeit mit der mathematischen Theorie der Nachrichtenübertragung. Mit etwas mathematischer Großzügigkeit mit Umgang mit Zahlen, kann man also diese beiden Jahre betrachtend, von einem 40-jährigen Jubiläum für das aus diesen beiden Lehrstühlen dann hervorgegangene Institut für Angewandte Mathematik der Friedrich-Alexander-Universität reden. Die Mathematiklehre für die Technische Fakultät war schon damals, auch noch nach der Einrichtung einer ganzen Reihe von Rats- und Professoren-stellen, eine Mammutaufgabe für das Institut für Angewandte Mathematik, neben der sowohl innerhalb als auch außerhalb der Mathematik oft leicht die weit darüber hinausgehenden wissenschaftlichen Aktivitäten und Potentiale vergessen wurden. Mit dieser umfangreichen Lehre wurde aber andererseits auch der Grundstein für eine Zusammenarbeit zwischen Mathematik und Ingenieurwissenschaften in Erlangen gelegt.
Die Zeit der frühen siebziger Jahre ist auch die Zeit, in der in Deutschland Großrechenanlagen für den wissenschaftlichen Einsatz etabliert werden. Die jüngere Generation von Studierenden und Wissenschaftlern, geprägt von Laptop und PC, einer umfangreich verfügbaren Software und dies alles eingebettet in eine fast perfekte graphische Benutzeroberfläche, kann sich kaum die Arbeitsumstände in diesen Anfangsjahren vorstellen. Ich fing zu dieser Zeit mein Studium an und es war selbstverständlich, dass die Programmierausbildung nicht mittels eines Terminals erfolgte, sondern im Batch-Betrieb, in dem mit einem Lochkartenschreibgerät, die entsprechenden Lochkarten-stapel hergestellt und dann mühselig, durch im allgemeinen sehr viele Durchgänge, erst einmal syntaktisch korrekt, vielleicht auch irgendwann einmal inhaltlich korrekt gemacht wurden. Ein typischer Großrechner dieser Zeit war eine Entwicklung der Telefunken-AG, nämlich der Rechner TR 440, eine Maschine, die unter anderem ein deutsch sprechendes Betriebssystem besaß, das ich in meiner späteren Studienzeit auch noch erlernte und benutzte, und die nicht nur in meinem Studienort Berlin, sondern auch hier in Erlangen zum Einsatz kam. Schaut man sich genau den Eingang des blauen Hochhauses Martensstraße 3 an, in dem immer noch ein Großteil des Departments Informatik und die besagten zwei Lehrstühle der Angewandten Mathematik untergebracht sind, so kann man noch einen Klingelknopf mit der Aufschrift „RRZE-TR 440“ entdecken. Aber auch diejenigen älteren, die sich noch an diese Zeit erinnern, können sich wohl kaum vorstellen, wie mühselig die allerersten Schritte im mathematisch-numerischen Umgang mit Rechenanlagen waren, nämlich mit den legendären von Konrad Zuse gebauten Anlagen. Eine solche Anlage, die Zuse Z23 wurde schließlich 1962 an der FAU auf Betreiben von Prof. Dr. Wilhelm Specht, der diesbezüglich schon 1959 aktiv geworden war, angeschafft. Wilhelm Specht, tatsächlich ein Gruppentheoretiker, wurde 1950 auf den neu geschaffenen Lehrstuhl für Angewandte Mathematik am Mathematischen Institut der FAU berufen, womit wir wieder mit einer gewissen mathematischen Großzügigkeit zur zweiten Jahreszahl unseres Doppeljubiläums, den 60 Jahren, kommen.
Kehren wir zurück zum Institut für Angewandte Mathematik. Im Jahre 1974, nach dem Inkrafttreten des Bayerischen Hochschulgesetzes, wurde auch die Technische Fakultät neu strukturiert mit der Folge, dass nun das Institut für Angewandte Mathematik zusammen mit dem Mathematischen Institut und den Instituten der Physik die Naturwissenschaftliche Fakultät I bildete. Damit wird die Basis für ein Zusammenwachsen der Mathematik gelegt, die dann im letzten Jahrzehnt immer sichtbarer wurde und mit der Gründung des Departments Mathematik seinen Ausdruck fand. Der Dekan ist darauf schon eingegangen. Im Jahr 1977 erfolgte eine Neubesetzung des Lehrstuhls Angewandte Mathematik I mit Prof. Dr. Hubertus Weinitschke. Mit ihm, einem Schüler von Eric Max Reissner, kommt ein klassischer Mechaniker auf den Lehrstuhl für Angewandte Mathematik.
Damit sind die Themen angeklungen, die in den nachfolgenden Jahren in ihrer Ausprägung zu einer Neuerfindung der Angewandten Mathematik nicht nur in Deutschland werden sollten, und die schließlich in der Klassifikation von Mathematik als Hochtechnologie einmündeten:
Dies ist zum einen die starke Hinwendung der Mathematik zu Fragestellungen der Natur- und Ingenieurwissenschaften, nicht nur als Beispielmaterial zur Entwicklung neuer mathematischer Theorien, sondern mit dem Ziel auch gesellschaftlich drängende Probleme in Kooperation zu lösen. Wesentliches Werkzeug sind immer weniger analytische Hardrechentechniken, als der schließlich alles beherrschende Einsatz einer immer leistungsfähiger werdenden Computertechnologie. Aber schon bald stellte sich heraus, dass bei allem Fortschritt in der Computertechnologie und in Programmiertechniken, also auf dem Gebiet der Informatik, doch zur Bewältigung der immer komplexer werdenden Probleme mindestens genauso essentiell die Weiterentwicklung der zugrundeliegenden mathematischen Verfahren und Algorithmen ist, und damit neue Mathematik zur Modell- und Verfahrensentwicklung zu einem der Grundpfeiler der Entwicklung wurde.
In diese Umbruchszeit der Angewandten Mathematik fällt, und nun komme ich nach einem langen Anlauf zu unserem Laureaten, die Berufung von Herrn Prof. Dr. Rolf Rannacher auf eine Professur für Angewandte Mathematik am besagten Institut im Jahre 1980. Vielleicht zum ersten Mal werden in der Person von Herrn Rannacher die angesprochenen Entwicklungen, nämlich neue mathematische Verfahren, Umsetzung auf zu diesem Zeitpunkt Höchstleistungsrechenanlagen, und schließlich Einsatz für herausfordernde Probleme der Ingenieur- und Naturwissenschaften in einer Person in Erlangen umgesetzt. Eine ganz neue Technologie damals war das Parallelrechnen und Herr Rannacher war einer der ersten, wenn nicht der erste deutsche Mathematiker, der das Potential dieser mittlerweile das wissenschaftliche Höchstleistungsrechnen beherrschenden Technologie erkannte und in seinem Forschungsspektrum mit aufnahm.
Doch nun etwas genauer zu unserem Laureaten: Rolf Rannacher wurde am 10. Juni 1948 in Leipzig geboren. Er studierte Mathematik und Physik an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität in Frankfurt am Main, wo er im Jahre 1974 unter der Anleitung von Friedrich Stummel promovierte. Auf diese Weise reichen seine akademischen Vorfahren über Franz Rellich und Richard Courant bis zurück zu David Hilbert. War seine Dissertation noch eine Arbeit zur Störungstheorie von Gleichungen vom Schrödinger-Typ, so wandte er sich mit seinem Wechsel als wissenschaftlicher Assistent an die Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, unter dem Einfluss von Prof. Dr. Jens Frehse, den wir auch unter den Gästen begrüßen dürfen, der Analyse von Finite-Element-Diskretisierungen partieller Differentialgleichungen zu, der er dann sein ganzes weiteres wissenschaftliches Leben lang treu blieb. In den 1970er Jahren war zwar die Finite-Element-Methode zur annähungersweisen Lösung von partiellen Differentialgleichungen als dem mathematischen Ausdruck der grundlegenden Feldgleichungen der mathematischen Physik und darüberhinaus der grundlegenden Modelle in den Ingenieurwissenschaften schon seit einiger Zeit etabliert. Die mathematische Analysis und Weiterentwicklung dieser Verfahren hatte aber erst eingesetzt. Kennzeichnend für diese numerische Analysis ist eine starke funktionalanalytische Fundierung und enge Verknüpfung mit der entsprechenden Theorie der Partiellen Differentialgleichungen.
Diese aus Frankreich kommende Entwicklung beeinflusste damals nachhaltig die junge Generation der auf diesem Gebiet arbeitenden Mathematiker und prägte damit die gesamte Entwicklung in Deutschland. Mit Jens Frehse zusammen, unter dessen Anleitung Rolf Rannacher 1978 die Habilitation erwarb, wurde er schnell zu einer prägenden Figur auf diesem Gebiet. Zu dieser Zeit gab es auf dem Gebiet der Finite-Element-Analysis verstärkte Anstrengungen zur Herleitung optimaler a priori-Fehler-schätzungen in der L∞-Norm bei Standard-P1- Finite-Element-Approximationen elliptischer Randwertaufgaben. Hier konnten die beiden genannten, auch zusammen mit Rigway Scott, signifikant zu dieser Fragestellung beitragen. Das Gebiet der L∞-Fehlerabschätzungen ist ein Eckstein des wissenschaftlichen Werks von Rolf Rannacher geblieben. Nach einem Jahr an der University of Michigan erfolgte der schon erwähnte Ruf auf eine C3-Professur für Angewandte Mathematik an der FAU im Jahre 1980. Während seiner Zeit in Erlangen war Rolf Rannacher mit der Analysis von Finite-Element-Methoden für elliptische und parabolische Probleme bei singulären Daten befasst. In diese Jahre fällt auch der Beginn seiner über 10 Jahre andauernden Zusammenarbeit mit John Haywood über effiziente und robuste numerische Verfahren von Problemen aus der rechnergestützten Fluidmechanik. So betrieb also Rolf Rannacher auch wie Hubertus Weinitschke Mathematische Strömungsmechanik, aber nicht wie jener mit klassischen analytischen Methoden, sondern auf einer funktional-analytischen Fundierung mit numerischen Methoden und deren Realisierung auf Höchstleistungsrechnern. Schon im Jahr 1983 verließ Rolf Rannacher wieder Erlangen, berufen auf einen Lehrstuhl für Angewandte Mathematik an der Universität des Saarlandes in Saarbrücken. Im Jahr 1988 erfolgte der dann letzte Wechsel, konnte Rolf Rannacher doch zwischen Rufen auf Lehrstühle an den Universitäten Zürich, Darmstadt und Heidelberg wählen, wobei er sich für die Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg entschied, der er bis heute treu geblieben ist.
Dort entwickelte sich ab den frühen 1990er Jahren unter anderem in Zusammenarbeit mit Claes Johnson und Endre Süli sein zweites Hauptforschungsgebiet, nämlich die Adaption von numerischen Verfahren insbesondere durch Gitteradaption mit dem Ziel einer Fehlerkontrolle für die so ermittelten Approximationen. In der Tat wurden Rolf Rannacher und seine Mitarbeiter die Pioniere auf diesem Gebiet auf der Grundlage dualer gewichteter Residuen. Durch die Anwendung dieser Methodologie auf optimale Steuerungsprobleme für partielle Differentialgleichungen entstand ein weiterer Pfeiler in Rolf Rannachers wissenschaftlichem Werk. Adaptive Gitterverfeinerungen haben zu einem Durchbruch bei der numerischen Lösung von solchen Optimierungsproblemen geführt und diesen Bereich nachhaltig beeinflusst. Wie schon erwähnt, hat sich Herr Rannacher nie mit der Entwicklung von Verfahren und ihrer Analysis zufriedengegeben, sondern auch schon als das Gebiet Wissenschaftliches Rechnen noch im Entstehen war und der Begriff noch gar nicht geprägt war, im Sinne des Wissenschaftlichen Rechnens gearbeitet, d. h. auf der einen Seite eine nachhaltige Softwareentwicklung in seiner Arbeitsgruppe betrieben, zum anderen immer den Weg in die Anwendungen bis hin zu den aktuellsten Fragestellungen der Natur- und Ingenieurwissenschaften gesucht.
Organisatorische Basis dafür war und ist zum einen das Interdisziplinäre Zentrum für Wissenschaftliches Rechnen (IWR) in Heidelberg, das von ihm wesentlich mitgetragen wird und dessen erweitertem Direktorium er angehört, zum anderen aber auch die Folge von Sonderforschungsbereichen und Graduiertenkollegs, für die Heidelberg berühmt geworden ist, und deren Sprecher bzw. stellvertretender Sprecher er mehrfach war. Ein wichtiger Teilaspekt im Rahmen des Gesamtziels einer effizienten Umsetzung von hochgenauen Approximationsproblemen war für Herrn Rannacher der Einsatz von parallelen Rechnerarchitekturen, auch, als sich diese Technologie noch in den Kinderschuhen befand. Nach Anfängen bereits in Erlangen, ist es Herrn Rannacher mit zu verdanken, dass Heidelberg einer der ersten Standorte solcher Rechenanlagen (damals noch auf der Transputer-Technologie) wurde, und sich dadurch traditionell zu einem Standort für massivparalleles Rechnen entwickelt hat. Zusammenfassend zählt also Herr Rannacher seit mehr als 20 Jahren zu den profiliertesten Vertretern der numerischen Analysis und darüberhinaus des wissenschaftlichen Rechnens und der Angewandten Mathematik in Deutschland. Wenigen Persönlichkeiten wie ihm ist es zu verdanken, dass ein Prozess angestoßen wurde, an dessen vorläufigem Endpunkt sich heute die Angewandte Mathematik in Deutschland als eine Wissenschaft zur modellbasierten, ganzheitlichen Behandlung von aktuellen Aufgabenstellungen der Natur- und Ingenieurwissenschaften in enger Kooperation mit diesen und getrieben von wichtigen gesellschaftlichen Problemen versteht. Herr Rannacher hat in den letzten zwei Jahrzehnten Beträge zur numerischen Analysis von partiellen Differentialgleichungen, insbesondere aus der Strömungsmechanik in einem Umfang und einer Tiefe geleistet, wie sonst nur wenige weltweit. Die Friedrich-Alexander-Universität ehrt mit der Verleihung der Ehrendoktorwürde aber nicht nur einen hervorragenden Forscher, sondern auch einen akademischen Lehrer, der es verstanden hat, eine Schule zu begründen, der national und international nur wenige zur Seite gestellt werden können. Das „Mathematics Genealogy Project“ verzeichnet 35 von Herrn Rannacher betreute Promotionen. Von den aus dieser Schule hervorgegangenen Wissenschaftlern sind mittlerweile mindestens acht auf Professuren des In- und Auslandes berufen worden
Lieber Herr Rannacher, das Department Mathematik freut sich, dass Ihnen heute die Naturwissenschaftliche Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität die Ehrendoktorwürde verleiht und ich möchte den Rektor der Friedrich-Alexander-Universität, Herrn Prof. Dr. Karl-Dieter Grüske und den Dekan der Naturwissenschaftlichen Fakultät, Herrn Prof. Dr. Frank Duzaar bitten, diese Verleihung vorzunehmen.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.